Donnerstag, November 10, 2005

Nachtschicht

[Dieser Artikel wurde ursprünglich auf blogall veröffentlicht und anschließend mit den Kommentaren hierher umgezogen.]

Am Freitag dürfen wir dem Scheff unserer Scheffin unser Projekt präsentieren. Zur Erinnerung: Es geht darum, einen Software-Entwicklungs-Prozess zu entwickeln, der die Bedingungen für eine Zertifizierung nach CMMI Nivel 3 erfüllt und die zu verwendenden Werkzeuge zu konfigurieren.

Natürlich will sich die Scheffin nicht blamieren lassen, deshalb will sie unsere Präsentation morgen sehen. Und auch der Projektleiter will sich nicht vor der Scheffin blamieren, also hat er sich heute unsere Präsentation zeigen lassen. Ein weiser Entschluß.

Da unser Projekt aus mehreren Leuten besteht, hat jeder einen Teil der Präsentation vorbereitet. Mehr oder weniger. Die meisten weniger. Die Teile, die vorbereitet waren, paßten hinten und vorne nicht zusammen, aber das waren ja glücklicherweise nur wenige. Also hat man kurzerhand Nachtschicht angeordnet, nach dem Motto "Es geht keiner, bevor wir das Zeug nicht fertig haben".

Da macht es natürlich doppelt Spaß, den Herren, die nichts vorbereitet haben, zuzuhören, wie sie sich gegenseitig tolle Ratschläge für ihre Präsentationen geben. Und wenn sie dann auf die tolle Idee kommen, den Schwerpunkt der Präsentation umzudefinieren, damit die, die vorbereitet waren, auch nochmal von vorne anfangen dürfen, da wird einem so richtig warm ums Herz. Könnte auch Sodbrennen sein.

Aber die Herren haben Zeit. Wie wär's mit einer Pause? Klar, einstimmig angenommen. Aber nur 15 Minuten, wir haben noch viel zu tun. Wahrscheinlich meinten die das pro Person, nach 40 Minuten trudeln die ersten gut gelaunt wieder ein.

Ich hab' kein Problem damit, mir die Nacht mit Fehlersuche um die Ohren zu schlagen oder stundenlang einem Application-Server einen Zugriff zur Datenbank abzuringen. Wenn es sein muß, programmier' ich auch 24 Stunden am Stück, mich nur von Kaffee und Keksen ernährend. Aber in unbezahlten Überstunden stundenlang diesen Vollpfosten beim Seiern Diskutieren zuzuhören, das ist schon verdammt hart. Diese Veranstaltung gibt dem Wort Unproduktiv eine ganz neue Dimension.

Nachtrag:

Aaaaargh. Es ist jetzt halb zehn und mein Nebenmann äußert die Idee, Pizzas zu bestellen. Natürlich wird der Vorschlag angenommen, meine Frage, ob wir jetzt vielleicht mal vorwärts machen könnten und danach essen, stößt auf allgemeines Unverständnis. Ich glaub, ich erschlag' jetzt jemanden mit dem Laptop.

Noch 'n Nachtrag:

Es ist bereits halb zwölf, die Pizza war ziemlich lummelig und ich durfte endlich auch meinen Teil (Architektur, Design und Programmierung) vorführen. Keine Beanstandungen. Jetzt fehlen noch Integration und Tests und dann dürfte das Drama endlich ein Ende nehmen. Warum braucht man für die Software-Entwicklung solche Dinge wie Projekt-, Personal- und Qualitäts-Management? Mit den Technikern kommt man viel eher zu einer Entscheidung als mit den Geisteswissenschaftlern Labertaschen Verwaltungsfachleuten.

Schlußwort:

Kurz nach halb eins war es endlich um. Gott sei's gedankt.



1|

Von: rolandmex · 10.11.2005 um 17:18:12 Uhr

Mein Beileid.
Aber: always look at the bright side of life... - tun Deine Kollegen (40 Minuten Pause) doch auch.
Den Sesselpupsern vom Amt geht doch immer alles am Allerwertesten vorbei - im real existierenden nepotismo wird man eh bezahlt, egal ob man arbeitet oder nicht.





2|

Von: ocho · 10.11.2005 um 21:22:51 Uhr

Andreas, Du sprichst mir aus dem Herzen. Ist hier nicht anders - vor allem das ellenlange Geseier (Motto: "Jeder darf mal was sagen"). Und dat schlimme is ja, dass die Ergebnisse, auf die man sich geeinigt hat, mitnichten umgesetzt werden - sondern man machts wie immer. Das ist dann die nächste Stufe der Unproduktivität. Wie war das nochmal von CMMI Stufe 1 auf 3 in 6 Monaten? Na ich hoffe ihr habt einen, der den Leuten dann kräftig in die Fresse haut, wenn sie den Prozess nicht befolgen. Hier fehlt der. Wir haben heute über ne Stunde über das Hochzeitskleid der Kollegin und die Vorbereitung für unsere Posada und meine despedida diskutiert.

Achso - Projektmanager hier ist mehr so Diktator, der "Fresse dick" verteilt. Also schon einer der wichtigeren Jobs. Ohne Druck gehts numal hier nicht.





3| Ich hab' so langsam das Gefühl ...

Von: Andreas Bohn · 11.11.2005 um 2:32:44 Uhr

... die wollen gar nicht nach Hause. Es ist schon wieder halb acht, meine bezahlte Arbeitszeit endete um sechs und der ganze Haufen ist munter am Plaudern. Entweder bei denen zu Hause ist es so schlimm, daß die da wirklich nur so kurz wie möglich zum Schlafen hingehen oder sie bilden sich tatsächlich ein, wichtig und toll und produktiv zu sein und das um so mehr, je später sie hier rauskommen.

Dabei will die Scheffin nur kleine Änderungen an der Präsentation. Zumindest von uns Technikern. Die Verwaltungsfachleute hat sie ordentlich zusammengefaltet ;-)





4| Schlußwort

Von: Andreas Bohn · 15.11.2005 um 1:25:42 Uhr

Die Präsentation ist gut über die Bühne gegangen, scheinbar hat die Scheffin den Projektleiter sogar gelobt. Daß das nur Gerüchtehalber bis zu den Technikern durchgedrungen ist, regt mich jetzt auch nicht mehr weiter auf, irgendwie scheinen die Verwalter nur mit uns zu kommunizieren, wenn sie was von uns brauchen. Dann aber um so ausführlicher ;-)

1 Kommentar:

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